One design to rule them all

Auch wenn der Karneval zum Thema „Aufbau von Regelwerken“ vorbei ist, hier noch der erste der beiden Beiträge, die grippebedingt erstmal auf Halde lagen.

(Vorbemerkung: Dies ist teilweise eine Aufbereitung der Notizen, die damals im Tanelorn gepostet wurden. Danke an die Mitschreiberin!)

Wer sich für das Thema „Technische Dokumentation“ interessiert, dem lege ich das gleichnamige Buch von Dietrich Juhl ans Herz (Dietrich Juhl: Technische Dokumentation. 2., neu bearbeitete Auflage, Springer-Verlag, 2005)

Die Zielgruppe
Eine wichtige Frage in der technischen Dokumentation ist immer die der Zielgruppe. Für den Aufbau und den Text eines Dokuments ist es essentiell zu wissen, wer die fertige Anleitung / Handlungsanweisung lesen soll. Wahrscheinlich wird jetzt der eine oder andere sagen, im vorliegenden Thema sei das doch klar, Regelwerke werden von Rollenspielern gelesen. Das mag ja bis zu einem gewissen Punkt zutreffen, aber sollte mein Regelwerk sich eher an ein jüngeres Publikum wenden, dann muss ich auch so schreiben, dass ein 12jähriger genau versteht, was er mit dem Regelwerk zu tun hat und nicht bei jedem Punkt in der Charaktererschaffung erst zu Mama und Papa rennt (außer natürlich, einer von beiden ist der Spielleiter..).Ein weiterer Punkt ist die Unterscheidung zwischen Neueinsteiger und erfahrenen Rollenspielern. In den meisten Regelwerken gibt es zumindest einen kleinen Seitenkasten, in dem erklärt wird, was ein Rollenspiel ist. Quellenbücher, die ja auch zu den Regelwerken gehören, haben diesen Kasten oder diesen Abschnitt in der Regel nicht, da ihre Leser meistens auch über das Grundregelwerk verfügen, das die entsprechenden Hinweise enthält.

Der Text
Die richtige Zielgruppe ist auch wichtig für das Schreiben an sich. Wende ich mich mit meinem Regelwerk an jüngere Spieler, wollen diese eher nicht gesiezt werden, manch einem älteren geht dann aber „hippe coole“ Jugendsprache schon wieder gegen den Strich. Wer es gerne ganz korrekt mag, spricht von den Spielenden oder der spielleitenden Person. Das ist jetzt übrigens absolut nicht überzogen oder witzig gemeint, in bestimmten Dokumenten ist es unabdingbar, eine geschlechtsneutrale Form (Die Studierenden, das Kollegium, die Leserschaft) oder aber von Mitspielern und Mitspielerinnen zu sprechen.

Ebenfalls wichtig für den Text ist seine Struktur. Noch bevor das erste Wort eines Regeltextes geschrieben wird, muss diese stehen. Hier muss ich ein wenig ausholen, denn eine Anleitung im Sinne der technischen Redaktion (und als solche sehe ich ein Regelwerk auch ) ist nicht gleich eine Anleitung.

Die technische Redaktion unterscheidet je nach Publikation zwischen verschiedenen Anleitungstypen. Zum ersten haben wir da die Sofortanleitung, übertragen auf das Rollenspiel wäre das sowas wie ein Quickstart-Heft. Sie sollten linear aufgebaut sein, übersichtlich gehalten werden und sich vor allen Dingen kurz fassen.

Als nächste grosse Kategorie haben wir die Lernanleitung. Wie ihr Name schon sagt, ist ihr Hauptziel, dass sie Wissen vermittelt und dem leser etwas beibringt. Für eine Lernanleitung müssen unbedingt das Lernziel und die Zielgruppe definiert sein. Außerdem muss ihr Aufbau in sich schlüssig sein – was will ich vermitteln, und wie soll der Lernende die Inhalte behalten? Sprich, gibt es Beispielaufgaben, bauen die Kapitel aufeinander auf, wird das Wissen in irgendeiner Form abgefragt und ähnliches. In einem Regelwerk könnte das beispielsweise so aussehen, dass der grundlegende Würfelmechanismus erklärt wird und darauf aufbauend Spezialwürfe für Magie oder Kampffertigkeiten.

Die letzte Anleitung ist schliesslich die Nachschlageanleitung. Jeder von uns hat mit Sicherheit schon einmal eine benutzt, denn auch ein Lexikon oder Kochbuch fallen grob unter diese Kategorie. In einer Nachschlageanleitung möchte ich Dinge schnell finden ohne mich lange mit Suchen zu beschäftigen, auf das Rollenspiel übertragen wäre das ein Kompendium mit Zaubersprüchen oder eine Zusammenfassung der wichtigsten Tabellen, wie sie auf Spielleiterschirmen häufig zu finden ist.

Ein Regelwerk ist in meinen Augen ein Hybrid aus den letzten beiden Anleitungstypen. Zum einen soll der Spieler lernen, wie er oder sie Spiel X nutzt, was überhaupt ein Rollenspiel ist, was es von anderen Spielen unterscheidet und welche grundlegenden Mechanismen (Würfel oder Karten, welche Würfel..) genutzt werden.
Dann sollte auch (zumindest in den meisten Fällen) das Setting eingeführt werden, wo befinden sich die Spieler, wen können sie spielen, und wer ist ihr Gegner. Gerade in diesem Bereich weicht das Regelwerk meistens am stärksten von einer klaren Anleitung im Sinne der technischen Redaktion ab, denn ein Setting lässt sich sehr gut mit Einzelpersonen und ihren Geschichten erzählen, und zwar im Prosastil.

Auf der anderen Seite brauche ich aber in einer Spielsitzung das Buch immer wieder, um etwas nachzuschlagen. Hier sind Listen und/oder Tabellen hilfreich, ebenso ausführliche Indizes.

Der perfekte Aufbau eines Regelwerks sieht für mich wie folgt aus:

  • Einführung in das Spiel: Worum geht es, was ist ein Rollenspiel (ruhig auch ausführlicher, denn es kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass jeder Leser auch automatisch die Grundprinzipien des Spiels kennt, erfahrene Spieler können diesen Teil auch überschlagen), und wo finde ich was
  1. Die Welt
  2. Die Bewohner
  3. Die Geschichte
  • Charaktererschaffung
  • grundlegende Regeln
  • Kampf- und Magieregeln
  • Ausrüstung
  • NSC/Gegner/Monster/Bestiarium
  • Beispielabenteuer

Sicher gibt es noch viel viel mehr zu diesem Thema zu sagen, aber auch der Platz in einem Blog ist begrenzt (und ich widme mich gerne noch anderen Themen), über Feedback oder Diskussionen hier oder im Forum der RSP-Blogs würde ich mich sehr freuen.

Abschliessend noch eine Anekdote aus meiner Ausbildung: Seinerzeit hatte ich eine interessante Diskussion mit meinem Chef, ob nun ein Rollenspielregelwerk eine Anleitung im Sinne der technischen Redaktion ist, da es ja kein Produkt wie einen Toaster oder eine Maschine gibt, zu der das Regelwerk die Anleitung sei. Wir kamen letzten Endes zu dem Schluss, dass ein Regelwerk auch eine Anleitung im Sinne der technischen Redaktion sein kann, denn das fertige Produkt wäre dann die jeweilige Spielsitzung.

Das wars fürs erste von der Theorie, im nächsten Beitrag zwei konkrete Beispiele: „The good, the bad and the core rulebook“

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Rollenspiel, Schreiben

Eine Antwort zu “One design to rule them all

  1. Die Hinweise zu Zielgruppe und Sprache würde ich gern ergänzen.

    Zielgruppe und Verständnis: *Jede* Anleitung sollte so geschrieben sein, dass sie von einem 12-Jährigen verstanden wird. Der Unterschied liegt im Regelwerk an sich und ob dieses zu komplex für Jugendliche ist oder nicht. Man sollte sich der Zielgruppe nur bewusst sein, damit man angesprochene Themen anpassen kann (z. B. indem man „Erwachsenenthemen“ wie Sex weglässt), sprachlich sollte es identisch sein.

    Zielgruppe und Sprachstil: „Hippe“ Sprache würde ich generell meiden. Sie ändert sich zu häufig und wer will schon ein Buch, das bei Erscheinen bereits altmodisch ist? Außerdem sind wir nicht mehr jung genug, um den Sprachstil wirklich einzufangen und die Jugendlichen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur mit dem Augen rollen, wenn sie das lesen, das wir für „hip“ halten.

    Duzen oder Siezen: Ich würde es ganz vermeiden. Immer. Im Deutschen sticht ein direktes Ansprechen des Lesers immer (unangenehm) hervor und außerdem ist sich die Leserschaft uneins, ob sie nun geduzt oder gesiezt werden will. Man verprellt also immer ungefähr die Hälfte der Leser, wenn man sie direkt anspricht. In der Praxis hat sich außerdem gezeigt, dass Jugendlichen, die von einem Regelwerk geduzt werden, evtl. der Eindruck vermittelt wird, das Spiel sei „für Kinder“. Die befragten 14- bis 15-Jährigen wollten das nicht haben.

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